Es ist eine interessante Idee, meine Damen und Herren, eine Schau bildender Kunst mit einem Ausstellungstitel zu versehen, der das geschriebene Wort zitiert: „Letter of pleasure“ weist nicht nur auf Buchstaben, auf Briefe, sondern betrifft die Kommunikation an sich, die in Zeiten wie den heutigen weit mehr beinhaltet als das auf Papier geschriebene Wort. Ganz im Gegenteil: Heute verständigen sich die Menschen fast ausnahmslos über digitale Medien – wir smsen, mailen und twittern, wir verschicken unsere Botschaften häufig nicht mehr nur an eine, sondern an hundert „Freunde“.
Es hat Zeiten gegeben, da wurde über die Verbrüderung von bildender Kunst und geschriebenem Wort gestritten. Heute ist der Begriff ‚Kommunikation‘ so weit geworden, dass der Anteil der Kunst an ihr nicht mehr angezweifelt wird und gerechfertigt werden müsste.
Und die Ausstellung „Letter of pleasure“ geht was die Beziehung zwischen geschriebenem und gemaltem Gedanken angeht noch weiter: Neben der Kunst als Sprachrohr des Gedankens, welche die Funktion von Botschaft übernimmt, sehen wir Kunst, die sich mit Schrift beschäftigt, die Schrift thematisiert, sie selbst zum Kunstwerk macht. Hier sehen wir das Geschriebene nicht so sehr als das Erklärende, sondern als einen Teil unserer geistigen Welt, der künstlerisch erfasst werden möchte. Wir sehen Stichworte und bedeutungsvolle Kürzel auf Bodenplatten, über die wir sonst achtlos laufen, flüchtig hingeworfene Notizen, über die wir im Alltag kaum nachdenken, Stichworte aus Beruf und Freizeit, die uns überall – optisch wie akustisch begegnen. In den hier gezeigten Kunstwerken werden sie plötzlich sichtbar, werden bedeutungsvoll, werden zu wichtigen Inhalten oder – ohne an Sinn zu verlieren – zu kostbaren Ornamenten.
Die Ausstellung demonstriert auch augenfällig das, was die Malerin Antje Siebrecht 1958 bereits feststellte:
„Kunst ist eine internationale Sprache, die keinen Dolmetscher braucht.“
Und das ist gut so, denn heute ist hier Kunst aus acht Ländern präsentiert. Elf KünstlerInnen sind hier Werken vertreten: Wolfgang Brenner, Ulrich Langenbach und Karola Teschler sind die Deutschen in der Runde, Sarantis Gagas lebt und arbeitet in Griechenland, Dusan Todorovic in Serbien. Ola Hejazi finden wir in Saudi-Arabien, Ahmed Sakr in Ägypten, Chen Li aus China in Italien, die Koreaner Insook Ju und Sukyun Yang leben und arbeiten in Düsseldorf, der im Italienischen wurzelnde Amerikaner Ralf Brancaccio in Paris. Sie alle sind Träger zahlreicher Kunstpreise, Stipendiaten hochdotierter Programme, Dozenten an Kunstakademien und Universitäten, Vorsitzende von Künstlervereinigungen, die teils weltweit agieren.
Und tatsächlich sind da weder Entfernungen noch Grenzen. Nicht nur menschlich, sondern auch auf dem Gebiet der Kunst treffen sie sich, bringen eigene Traditionen ein, schauen jedoch auch über den Tellerrand und in die weite Welt der verschiedenen Kulturen hinaus.
Und so sind sie entstanden, die Letters of pleasure, die Botschaften an und über uns, aus denen trotz mancher erschreckender Wahrheiten eine Liebe zu unserer Welt, unserem Leben spricht und uns in großer Ästhetik begegnet.
Ralph Brancaccio etwa widmet sich seit langer Zeit den Gulli-Deckeln dieser Welt. Er verewigt sie als Farbdrucke auf Büttenpapier, erhebt sie so aus dem Staub der Straße und macht sie zu etwas bedeutungsvollem, das sich nun auch in Ruhe und bequem lesen lässt. Gulli-Deckel teilen uns Geschichten mit: Sie tragen Namen und Wappen ihrer Heimatorte, geheimnisvolle Kürzel und Zeichen, eloquente Gebrauchspuren. Durch die Verwendung von Farben führt Ralph Brancaccio die gusseisernen Zeugen fest definierter Orte und Zeiten in neue Welten, macht sie bunt und lustig, manchmal pastellzart und märchenhaft oder präzise und streng in Farbe und Form.
Der Paderborner Künstler Wolfgang Brenner arbeitet inhaltlich wie materiell in der Technik der Collage, d. h. er baut seine Arbeiten Lage für Lage von unten nach oben auf. Je nach verwendetem Material eignen seine Arbeiten eine teils sichtbare, teils einfach nur präsent scheinende Plastizität nach außen und eine spürbare Tiefe nach innen.
In den hier ausgestellten Arbeiten finden wir vielfach Fotos, die wie Stichworte, kurze verschwommene Eindrücke oder Fragmente eines größeren Zusammenhanges über die Bildfläche huschen oder daran hängenzubleiben scheinen; und natürlich Schrift, die der Künstler wie Gedankenfetzen oder flüchtige Notizen auf oder neben das Bildmotiv wirft, unterstreicht, wieder wegstreicht und doch lesbar lässt, so dass der betrachtende Blick über die gültige Form und damit über die Aussage selbst und eigenständig entscheiden muss.
Sarantis Gagas aus Thessaloniki beschäftigt sich sehr intensiv mit äußerer Form und Inhalten von Schriften. Häufig und gern greift er dabei auf das Erbe seines eigenen Volkes aus dem klassischen griechischen Altertum zurück. Die Bedeutung dieser Schriften verbildlicht der Künstler bei der Wiedergabe ihrer Zeichen, verknüpft das Schriftbild zu einem engen, gleichwohl feinen Netz häufig goldener, silberner und bronzener Linien, die er in akkuraten Blöcken wie kleine kostbare Schmuckstücke oder edle metallene Platten exponiert oder in Gruppen arrangiert. Die so beschriebenen Texte verlieren zwar ihre Lesbarkeit, gewinnen jedoch an optischer Kostbarkeit. Sarantis Gagas arbeitet gern mit solchen Gegensätzen: Seinem Werk „O aneparktos Chronos“ (= Die nicht existierende, die fiktive Zeit) hat er eine Zeittafel mit exakten Angaben seiner reellen Arbeitszeiten an dem Kunstwerk beigestellt.
Ola Hejazi aus Saudi Arabien ist mit ihrer Malerei immer am Nerv der Zeit. Alltäglichkeiten sind ihr Thema, die sie in starken Farben und voller Lebensfreude und Begeisterung darstellt. Manchmal wie auf fotografischen Negativen hat die Künstlerin das Wichtige im Leben festgehalten – in Schwarz/Weiß die Vergangenheit, in den ihr eigenen leuchtenden Tönen die Gegenwart. Ihre, gern mit traditionellen kalligraphischen Elementen der heimischen Kultur gestalteten Arbeiten sind vielfach ein Protest gegen die technisierte digitale Welt und ihre unpersönliche Kommunikation, die keine menschliche Nähe mehr zulässt und wünscht.
Der Siegener Künstler Uli Langenbach arbeitet neben Installationen, Objekten vielfach mit den Neuen Medien, mit Fotografie und Film, kombiniert Techniken, zeichnet und malt. Es sind menschliche Befindlichkeiten, die Menschen in ihrer Welt und diese ohne sie, ausgedrückt in Sprache und Schrift, die ihn besonders interessieren. Dabei konfrontiert er unterschiedliche Ausdrucksarten miteinander, stellt Gestik neben geschriebene Aussagen und Kommentare, überträgt Atmosphäre in spielerisch, wie unbewusst bewusst gezogene Linien und gekleckste Flecken, akzentuiert mit Farbe.
Uns bleibt die Aufgabe, diese Teile sinnvoll zusammenzufügen, was der Lösung einer Denkaufgabe gleichkommt. Und manchmal ergeben die Teile schließlich noch nicht einmal ein realistisches stimmiges Bild, ist das Rätsel des Rätsels Lösung.
Chen Li aus China schreibt Botschaften, die weit inhaltsreicher sind als das auf den ersten Blick Sichtbare. Mit flüssigem Kunststoff beschreibt sie nach der Tradition ihrer Heimat in der Art der Kalligraphie weiße Gründe oder ihrerseits bereits geprägte Flächen wie etwa mit Blindenschrift bedruckte Bögen. Ihre für uns so geheimnisvollen, tatsächlich aber „echte“ chinesische Zeichen verdecken und verbergen also wiederum Texte, bleiben selbst jedoch teilweise entzifferbar. Immer wieder formuliert sie etwa das Wort „happiness“ und nennt es innere Glückzustände durch Kunst.
Das Geheimnisvolle zeigt sich besonders in dem Werk, in dem die Künstlerin ein Stück Textil in unterschiedlichen Stadien des Zerknitterns schemenhaft auf Papier druckt in der Art eines zerknüllten Notizzettels, der in uns die Fantasie einer geheimen Botschaft weckt.
Ahmed Sakr aus Ägypten schreibt im wahrsten Sinne des Wortes Briefe: Wortreiche Botschaften an die Weiblichkeit, auf die auch seine reich gestalteten Sammlungen von Frauenköpfen – jeder einzelne eine alte Bahnfahrkarte – weisen.
In seinen materiell wie farblich opulenten Werken arbeitet er mit den sehr bildlichen und also auch für Nichtkenner durchaus betrachtenswerten Zeichen aus dem Alten Ägypten. Teils in dick aufgetragene Gründe gegraben und geritzt breiten sie sich wie Schriften auf seinen Leinwänden aus, erheben sich wie Tafeln oder Scherben aus ihnen, scheinen sich bisweilen auch übereinander zu schichten.
Karola Teschler aus Velbert im Ruhrgebiet wandert mit ihrem Werk durch die Zeit sammelt Daten und damit Erinnerungen, verknüpft sie mit dem Hier und Jetzt und haucht ihnen Leben ein.
Alte fotografische Aufnahmen der Vorfahren werden neben Jahreszahlen platziert, die durch ihre Exponierung eine, wenn auch geheimnisvolle Bedeutung erhalten. Klein und allein stehen die dokumentierten Figuren im weiten Raum, sie tragen nicht nur Bedeutung, sondern scheinen auch von dieser getragen, kommen im Jetzt an und bauen so eine Brücke zur heutigen Zeit.
Der serbische Künstler Dusan Todorovic setzt sich in seinen Arbeiten mit der multimedialen Welt und ihrer Sprache auseinander. Die meist plastisch anmutenden Malereien zu Themen der Moderne zeigen den Menschen nur schemenhaft und in seiner Silhouette standartisiert, sie entpersönlichen ihn und machen ihn zu einem unbedeutenden, ohne festen Halt schwebenden Teil einer Welt, die nicht nur ausschließlich im digitalen Netz, sondern vorzugsweise auch über dieses kommuniziert.
Als Künstlerduo Yang Ju Bang experimentieren die beiden in Düsseldorf lebenden Koreaner Insook Ju und Sukyun Yang mit dem Raumbegriff in der Kunst. Raum ist nicht nur Umgebung, sondern auch Beziehung zwischen Personen, Abstand oder Nähe, Spannung oder Entspannung.
Insook Ju und Sukyun Yang erzählen über Menschen – vorzugsweise über sich selbst – indem sie ihnen virtuelle Welten einrichten, Häuser, Wohnräume, in denen diese Menschen sich anschließend bewegen und sich zu Hause fühlen. Einblicke in diese Welten hat das Künstlerpaar nicht nur in unsere Ausstellung gebracht, sondern auch durch kalligraphisch wirkende Pinselhiebe im Raum verankert. Wie geheimnisvolle, gleichzeitig bedeutungsvoll und malerisch wirkende Schriftzeichen klären sie das Diesseits und das Jenseits und rücken letzteres trotz aller formalen und inhaltlichen Klarheit in eine erstaunliche fiktiv anmutende Tiefe.
Der 1980 verstorbene polnische Kunsthistoriker Wladyslaw Tatarkiewicz (1886-1980) hat einmal gesagt:
„Die Kunst ist ein Ausdruck, d. h. Sie verdankt ihre Existenz dem Bedürfnis des Menschen, seine Gedanken und Gefühle auszudrücken.“
Ein buntes Bild von Leben breitet sich hier vor unseren Augen aus, eine facettenreiche Dokumentation dessen, was uns im Miteinander begegnet.
Hier erzählen KünstlerInnen aus ihrer Welt und schreiben für uns ihre Letters of Pleasure.
Dr. Alexandra Sucrow
Vorsitzende Kunstverein Paderborn e. V.